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Die eigentliche Krise - Ein Blick nach Syrien

Als die Corona-Krise begann die ganze Welt zu bedrohen, nahmen die Menschen in Syrien sie nicht als ernsthafte Gefahr wahr. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir zunächst die Situation in Syrien besser verstehen und unseren Blick auf die Lage in Syrien richten:

Die Menschen in Syrien leiden nicht nur unter dem andauernden, katastrophalen Krieg, sondern auch unter sehr misslichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Um es an einem konkreten Beispiel anschaulich zu machen: Ein durchschnittliches Schullehrer-Einkommen lag vor dem Krieg im Jahr 2011 bei etwa 300 Euro pro Monat (1 Euro = 60 Syrische Pfund), was für den Lebensunterhalt ausreichte, aber jetzt, nach 9 Jahren Krieg, hat die syrische Wirtschaft großen Schaden erlitten und die Währung verlor ihren Wert und erreichte zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels 1 Euro = 2050 Syrische Pfund, und es verschlechtert sich weiter. Das Durchschnittsgehalt eines Schullehrers beträgt jetzt nur noch etwa 20 oder 30 Euro pro Monat.

Auch bedingt durch diesen Wertverlust nimmt die Armut im Land immer mehr zu. Die UN hat im Jahr 2019 einen Bericht veröffentlicht, in dem festgehalten wird, dass mehr als 83% der Syrer unter der Armutsgrenze leben.

Die Corona-Krise ist für die Menschen dort kein größeres Problem. Das Problem ist das Überleben im Alltag. Für sie sind Essen, Getränke und Heizöl für den Winter meist das, was sie suchen. Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag, beschränkte Wasserversorgung ist im syrischen Alltag nun normal.

Als viele Länder angefangen haben, die Corona-Maßnahmen zu verschärfen und Flughäfen, Restaurants usw. zu schließen, ging die syrische Regierung weiterhin unbesorgt mit der Situation um. Sie hat ständig angekündigt, dass das Land frei vom Corona-Virus ist. Gleichzeitig glauben auch viele Menschen im Land, dass die Gefahr des Corona-Virus nur Fake News ist. Die sozialen Medien in der arabischen Welt, insbesondere Facebook und Youtube, spielten eine große Rolle bei der Verbreitung der Verschwörungstheorien, an die viele Syrer glauben. Indem ich mit vielen Freunden und Familienmitgliedern in Syrien gesprochen habe, habe ich versucht, die falschen Informationen zu korrigieren, und das war schwierig.

Später führte die syrische Regierung, obwohl sie keine Coronafälle im Land bekannt gegeben hatte, einige Eindämmungsmaßnahmen ein, die nicht sehr effektiv waren. Zum Beispiel kündigte sie eine Quarantäneregel an, die es Menschen verbietet, zwischen den Städten zu reisen oder nach 18:00 Uhr aus ihren Häusern zu gehen. Später wurde diese Ausgangssperre sogar noch auf 14h an den Wochenenden verschärft - was sich meiner Meinung nach negativ auswirkte, da es die Menschen dazu veranlasste, sich auf den Straßen und vor den Geschäften zu versammeln, um Lebensmittel usw. für die Quarantäne Zeit kaufen zu können. Vielleicht wären einige soziale und physische Distanzierungsregeln besser gewesen.

In der Zwischenzeit begannen die Menschen noch mehr zu leiden, da sie aufgrund der Quarantäneregeln nicht zur Arbeit gehen konnten. Für viele Menschen bedeutet das kein Einkommen und sehr hohe Preise, v.a. auch für Lebensmittel.

Die syrische Regierung hat vor kurzem damit begonnen, einige Corona-Fälle (insgesamt 144 Fälle zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels) bekannt zu geben, wobei sie angibt, dass diese Fälle lediglich Syrer betreffen, die aus dem Ausland zurückkehren. Die Regierung erließ eine verpflichtende 14-tägige Quarantäne in speziellen Zentren, die für die Quarantäne bereitgestellt wurden. Jedoch gab es in diesen Zentren keine räumliche Trennung der Personen. Das heißt, wenn unter den Personen in Quarantäne eine infiziert war, so konnte sie alle anderen anstecken. Gleichzeitig ist es auch so, dass jene Rückkehrer, die eine gute Verbindung zu wichtigen Politikern oder Offizieren im Land haben, diese Quarantäne umgehen und sofort nach Hause gehen konnten. Ich glaube, die Situation in Syrien hat sich zum immer Schlechteren entwickelt. Die Menschen haben nur zwei wirkliche Handlungsmöglichkeiten, und beide sind problematisch. Entweder sie bleiben zu Hause und sind somit vom Zugang zu Lebensmitteln abegschnitten, oder sie riskieren, sich anzustecken, wenn sie zur Arbeit gehen.

Als Frau ist es in diesem Chaos nicht besser. Natürlich ist es nahezu unmöglich dies in ein paar Zeilen zu erklären. Die Situation für Frauen ist auch immer abhängig von der jeweiligen Stadt, der Familie und der Tradition. Viele syrische Frauen haben Arbeit. Sie arbeiten meist als Lehrerinnen oder machen Büroarbeiten, während die Männer größtenteils handwerkliche Arbeiten verrichten oder sich in den letzten 9 Jahren im Kampf engagierten. Andere sind ins Ausland geflohen. Die Situation könnte für Männer gefährlicher sein, aber gleichzeitig ist sie auch sehr schwierig für Frauen. Viele Mütter haben ihre Kinder im Krieg verloren oder wissen nichts über sie. Auch die anderen sind immer über die Situation in großer Sorge. Ohne funktionierende Pflegeheime leiden auch die älteren Menschen. Sie brauchen jemanden, der sich um sie kümmert, was unter diesen Bedingungen schwierig ist. Viele Frauen sind daher zusätzlich in Sorgearbeit eingespannt.

Wenn ich die schlimme Situation in Syrien sehe, fühle ich mich hier in Deutschland sicher, aber gleichzeitig ist es schwer für mich, von meiner Familie, Freunden und allen, die ich in Syrien kenne, weit weg zu sein. Manchmal fühle ich mich sogar beschämt oder schuldig, dass ich unter besseren Bedingungen hier bin, während sie dort leiden.

Der einzige Trost ist, dass ich hier mit meinem Mann zusammen sein kann und dass wir hier eine Arbeit haben, sodass wir unsere Familien finanziell möglichst unterstützen können, damit sie diese Kriegs-Hölle überleben können. Wir versuchen auch, sie per WhatsApp und Skype zu kontaktieren, wann immer sie einen Internetverbindung und Strom haben.

Aus meiner Sicht geht es Deutschland mit der Corona-Krise im Vergleich zu vielen anderen Ländern gut. Dieses Land bedeutet für mich genauso viel wie Syrien. Mit vielen deutschen Freunden, und sogar einige sind wie eine Familie für mich, fühle ich mich hier nicht mehr fremd. Ich hoffe, dass die Situation hier besser wird. Ich habe in Syrien schon viel verloren, und ich will hier nicht nochmals verlieren.

Das gilt auch für Europa und die ganze Welt. Ich hoffe, dass die Menschen auf der ganzen Welt aus den Fehlern lernen, die wir gemacht haben, um gemeinsam - mit Sympathie und Solidarität - leben zu können.

Siba Wardeh
BtE Referentin - Sie arbeitet zu Themen der Flucht und Migration und zu Frauenrechten